DAS RADIESCHEN-PARADIES



Irgendwo im Wunderland, weit weg vom Garten der Herzkönigin, gab es den Weg der Paradiese. Das war ein schier endloser Weg mit zigtausenden von Türen, die in die verschiedenen Paradiese führten.
Es gab das Paradies, wo Honig und Milch flossen. Dann gab es ein Paradies für die verschiedensten Künstler. Es gab ein Paradies nur für Schmetterlinge, ein Paradies für Teddybären und sogar eines für Küchenmaschinen.

Im Wunderland gab es auch eine kleine Fee, Lilian.
Lilian war gerade mal 125 Jahre alt, für eine Fee war das sehr jung, das sind nur zirka 12 Menschenjahre. Mit 125 muss man sich im Wunderland entscheiden, was man werden will. Lilian wollte unbedingt Gartenfee werden. Ihre Mutter Melinda war ebenfalls eine Gartenfee, und ihre Großmutter auch. Lilian hatte auch schon einen Platz auf der Gartenfeeakademie, sie musste nur noch die Aufnahmeprüfung bestehen.
Jede Fee hasste irgendein Gemüse. Bei Lilian waren das Radieschen. Also musste sie als Aufnahmeprüfung ins Radieschen-Paradies, um ihren Hass zu überwinden. Lilian bereitete sich ausgiebig auf diesen Ausflug vor.
Als es dann eines Morgens soweit war, hatte sie trotzdem „Muffensausen“. Lilian machte sich mit fünf weiteren Feen auf zum Weg der Paradiese, Abteilung Garten. Da Feen bekanntlich Flügel haben, erreichten sie den Weg der Paradiese bald. Dort gab es ein noch praktischeres Fortbewegungsmittel als Flügel. Man nahm sich einen Regenschirm, öffnete ihn, sagte wohin man wollte und rauschte davon. Man durfte nur nicht anfällig für Seekrankheit sein.
Das Radieschen-Paradies war für Gartenfeenanwärter mit einem großen Riegel versehen. Um hinein zu kommen, musste man sich bewußt werden, warum man Radieschen überhaupt hasste. Lilian hatte schon oft darüber nachgedacht. Am Anfang war sie der Meinung, dass dies von Natur aus vorbestimmt war. Aber das fand sie eine blöde Antwort.
Dann plötzlich fiel es ihr aus heiterem Himmel ein. Sie hasste Radieschen, weil sie als sie noch ein Baby war, einmal Erdbeeren mit Schlagobers gegessen hatte, und ein doofes Radieschen hatte sich einfach dazwischengemischt. Radieschen sind ein Gemüse und kein Obst, also schmecken sie auch überhaupt nicht süß, sondern sogar ein bisschen scharf. Als Baby hatte sie dem Radieschen die Schuld gegeben und war bis heute noch sauer auf das Gemüse.
Da sie jetzt wusste, warum sie Radieschen hasste, öffnete sich der Riegel und die Tür zum Radieschen-Paradies ging auf. Das Radieschen-Paradies war wunderschön, bunte Wiesen und Täler, wunderschöne Gärten und Häuser und vorallem immens viele Radieschenbeete schmückten die Landschaft. Außerdem gab es die verschiedensten Wesen, die alle als Gärtner arbeiteten. Da entdeckte Lilian etwas - und das verschlug ihr nun wirklich den Atem. Stand doch dort inmitten einer Wiese ein seltsamer Tisch mit einer Schüssel Erdbeeren und Sahne darauf. Lilian ging zu dem Tisch und aß die Erdbeeren. Ab und zu sprang auch ein kleines Radieschen in die Schale, aber inzwischen störte das Lilian nicht mehr.

Als Lilian zurück nach Hause kam, war sie bereits in der Gartenfeeakademie aufgenommen.

LILLY, 11 Jahre aus Wien, (2003)

Dieser Text erschien in der Anthologie des Literaturwettbewerbs 2004 "Ich schreibe!", herausgegeben vom Birkchen-Verlag der Kunstschule "Birkchen", Deutschland.