DAS STERNENMÄDCHEN
Ich sah sie an meinem Fenster vorbeigehen. Nachts. Wenn die Sonne
gerade untergegangen war und die Sterne einer nach dem anderen
hervorkamen. Der Abendstern als erster und dann recht schnell die
anderen.
So nannte ich sie auch: Abendstern. Aber nur für mich selber,
ihren richtigen Namen hat sie mir nie verraten. Sie sprach
überhaupt nur sehr selten.
Einmal, in einer warmen Sommernacht, bin ich ihr gefolgt. Sie trug ein
langes, fließendes Kleid und hatte sich ein Tuch um den Kopf
gebunden um ihre langen schwarzen Haare zu bändigen.
Sie ging bis ans Ende des Dorfes und stieg dann den Hügel hinauf.
Ich bleib hinter einem Baum versteckt und beobachtete sie. Sie legte
sich in die Wiese und schaute den Himmel an.
Einfach so, ohne sich zu bewegen schaute sie immer nur den schwarzen
Sternenhimmel an.
Irgendwann habe ich es dann nicht mehr ausgehalten und habe mich zu ihr
gesetzt. Sie lächelte mich nur kurz an und schaute dann wieder in
den Himmel.
Von da an kam ich jede Nacht, legte mich neben sie und beobachtete die
Sterne. Ab und zu erzählte sie mir etwas über die Sterne.
Zeigte mir die einzelnen Sternbilder und erklärte mir ihre
Bedeutung.
Die meiste Zeit lagen wir aber nur da, redeten nicht und schauten
einfach nur die Sterne an.
Es war eine wunderbare Zeit bis ich ihr eines Nachts meine Liebe
gestand.
Sie fing zu lachen an und statt, dass sie irgendetwas zu meinem
Geständnis sagte, erzählte sie mir von ihrem Traum eines
Tages zu den Sternen zu reisen.
Am nächsten Morgen war sie verschwunden.
Keiner weiß was mit ihr passiert ist, aber wir nehmen an, dass
sie weggegangen ist. Vielleicht hatte sie es schon die ganze Zeit
geplant, vielleicht war auch mein Geständnis auschlaggebend.
Ich weiß es nicht und werde es wahrscheinlich auch nie wissen.
Und manchmal denke ich das alles war nur ein Traum, aber dann schaue
ich aus dem Fenster und beobachte wie der Abendstern die dunkle Nacht
als erstes mit seinem Besuch ehrt.
Und dann weiß ich, dass sie irgendwo in eben diesem Moment auch
zum Abendstern schaut.
Und vielleicht sogar an mich denkt.
LILLY, 14 Jahre aus Wien, (2006)